Wie kann es geschehen, dass sich die Verbundenheit zweier Menschen in Ablehnung und Feindseligkeit verwandelt?Was kann uns überhaupt dazu bringen, einen anderen Menschen zu kritisieren, ihm Vorwürfe zu machen, ihn gar zum Feind zu erklären?
Vielleicht mutet diese Frage seltsam an, weil Bewertung, Kritik und Urteil in unserer Kommunikation allgegenwärtig sind. Und weil es eigentlich zum guten Ton gehört, bestimmte Menschen, Gruppen, Haltungen, Eigenschaften zu verurteilen und abzuwerten und damit zu zeigen, dass man selbst besser ist und zu den Besseren, den Überlegenen gehört. Das hebt die Stimmung, stärkt den Gruppenzusammenhalt und erspart uns die Auseinandersetzung mit den Verurteilten und deren Ansichten und Anliegen.
Wenn ich merke, dass ich in dieses Verhaltensmuster gerutscht bin, nehme ich mir immer wieder Zeit, um meinen Vorwurf zunächst möglichst klar zu formulieren und ihn dann gegen mich selbst zu wenden. Ich sage dann zum Beispiel zu mir selbst immer wieder „Ich bin arrogant“. Den dabei wahrgenommenen Gefühlen gehe ich mithilfe von EFT möglichst auf den Grund. Dabei hat sich jedes Mal gezeigt, dass ich mir den jeweiligen Vorwurf tatsächlich selbst machen kann. Nicht weil ich ganz genau das Gleiche mache wie die von mir kritisierte Person, aber sehr wohl im Prinzip, nur eben auf meine persönliche Art.
Hier wird also etwas, das uns eigentlich verbindet – eine bestimmte Eigenschaft oder ein bestimmtes Verhalten, das wir beide haben – zu etwas Trennendem! Und warum? Weil ich es bei MIR nicht sehen will, nicht akzeptieren will! Weil ich nicht so sein will, diese Eigenschaft nicht haben will, anders, „besser“ sein will als ich bin. Sprich, weil ich MICH SELBST ABLEHNE, oder zumindest diesen Teil von mir. Ablehnung trägt Selbstablehnung in sich. Und je unangenehmer mir eine Eigenschaft von mir ist, desto schwerer kann ich sie akzeptieren und desto heftiger und hartnäckiger fallen meine Vorwürfe und Angriffe aus.
All das muss übrigens niemals nach außen dringen. Das kann auch als anhaltendes Selbstgespräch stattfinden, das aber sehr wohl Auswirkungen auf das eigene Verhalten, die Stimmung und das körperliche Empfinden hat.
Das Streben nach Überlegenheit und das damit verbundene Bewerten, Beurteilen, Kritisieren wird also von einem unbewussten Gefühl der Unterlegenheit getrieben. Warum sonst könnte ich mich überlegen fühlen wollen? Menschen, die mit sich und ihrem Leben wirklich einverstanden sind, haben kein Bedürfnis, andere zu kritisieren, zu bewerten und zu verurteilen. Sie sind im Gegenteil – freiwillig, aus einem natürlichen Bedürfnis heraus – stets bestrebt, Brücken zu bauen, Unterstützung anzubieten, Verständnis zu entwickeln.
Vielleicht könnte man sagen, dass es eigentlich unmöglich ist, NICHT verbunden zu sein. Man kann aber durch Selbstablehnung das Gefühl des Getrenntseins bis hin zur Feindschaft erzeugen.
Wenn ich also merke, dass ich damit beschäftigt bin, andere zu bewerten und mich mit ihnen zu vergleichen, kann ich das als Gelegenheit nutzen um zu schauen, was mir gerade an mir selbst nicht passt und möglichst dafür sorgen, mich MIT und TROTZ dieses „Makels“ zu akzeptieren und anzunehmen. Weil ich – immer und in jeder Hinsicht – gut bin, so wie ich bin. Und weil ich mich nur „verbessern“, also weiterentwickeln kann, wenn ich mich zuvor wirklich vollständig angenommen habe.
Christian Ponleitner