Eine Bekannte hat mir kürzlich erzählt, daß ihr Vater in den letzten Wochen der Corona-Maßnahmen immer mehr von seinem Lebenswillen und seiner Lebensfreude verloren hat weil sein Enkel ihn nicht mehr besuchen durfte. Sie sagt, daß er immer mehr verfällt und er selbst sagt, daß er sich seelisch und körperlich zunehmend elender fühlt, weil die Zeiten mit seinem Enkelkind für ihn eine Quelle der Freude und der Kraft waren.
Man kann solche Erfahrungen als unausweichlich hinnehmen und darauf hoffen, daß möglichst bald der altbekannte Zustand wiederhergestellt ist. Ich hatte allerdings das deutliche Gefühl, daß es eine Rückkehr zu einem gewohnten Vorher nicht geben wird und habe mich daher damit auseinandergesetzt, welche Botschaften, welche Hinweise, welche Erkenntnisse die Geschehnisse der letzten Monate für uns bereit halten, worauf sie uns vielleicht hinweisen wollen und ich bin dabei zu den folgenden Gedanken gekommen.
– In dieser Zeit der Isolation haben wir die Gelegenheit, uns klar bewusst zu werden wie sehr wir einander brauchen, daß wir eigentlich ohne einander nicht leben können.
– In dieser Zeit der Masken und des Abstandhaltens haben wir die Gelegenheit zu erkennen, wie wichtig für uns Nähe, Berührung, Austausch, Lächeln, Blicke, die bloße Gegenwart anderer Menschen sind.
– In dieser Zeit von Home-Office und ausufernder Online-Kommunikation haben wir die Gelegenheit zu spüren, daß diese Art von Kontakt niemals auch nur annähernd ein Ersatz sein wird für einen Händedruck, ein persönliches Gespräch, eine reale Begegnung.
– In dieser Zeit wo wir uns zum Schutz vor Krankheit Maßnahmen verordnen, die selbst krankmachend sind weil sie uns von den wichtigsten Quellen unserer Lebenskraft abschneiden, haben wir die Gelegenheit uns zu fragen was für ein seltsames System wir uns da erschaffen haben und ob das wirklich die Art von Gesellschaft ist, die wir uns von Herzen wünschen.
– In diesen Zeiten des Protests, der gegenseitigen Beschuldigungen, der Unruhen, des Hasses, der Ignoranz und Arroganz haben wir die Gelegenheit zu begreifen, daß wir unbedingt Verbundenheit mit dem Leben, mit der Welt, mit den Anderen brauchen und daß wir einfach alles dafür tun müssen, daß diese Verbundenheit wiederhergestellt, erneuert, belebt, global erweitert und vertieft wird, weil wir uns sonst gegenseitig zerstören werden.
Viele haben das Gefühl, daß alles auf dem Spiel steht. Viele wissen nicht mehr, wem sie glauben sollen oder was sie glauben sollen, fühlen sich gelähmt, den Geschehnissen ausgeliefert. Aber es gibt ein uraltes, längst bekanntes und oft als zu einfach verschmähtes Prinzip, das uns sofort aus dieser Orientierungslosigkeit herausholt und uns sofort und dauerhaft die Gelegenheit gibt zu handeln. Dieses Prinzip heißt: wir müssen gut zueinander sein.
Gut zueinander zu sein heißt, unserem tiefen, lebenswichtigen Bedürfnis nach Verbundenheit gerecht zu werden. Es heißt nicht, daß wir besser als andere sein müssen und es heißt nicht, daß wir uns für jemand anderen heldenhaft aufopfern müssen. Wir tun es nicht für andere, sondern wir tun das in Wirklichkeit für uns selbst. Es tut uns selbst gut, gut zu anderen zu sein. Und es schadet uns selbst, nicht gut zu anderen sein. Das ist keine Frage der Moral, sondern ganz direkt und sofort erfahrbar und spürbar, wenn wir in dem Moment wo wir gut oder schlecht über jemand anderen denken bzw. gut oder schlecht gegegnüber jemand anderem handeln.
Wenn dieses Prinzip für uns oberste Priorität hat, wenn uns nichts wichtiger ist als das, könnten viele Fragen mit einem Schlag bedeutungslos werden und es könnten sich viele überraschende, geniale Lösungen zeigen. Wenn wir uns dieses Prinzip zur Richtlinie für unser Handeln an jedem Tag machen, wissen wir in jedem Moment worauf es ankommt und was zu tun ist. Wir sind dann keiner Fremdbestimmung mehr unterworfen, sondern unterliegen nur mehr unserer eigenen aus freiem Willen getroffenen Entscheidung für das Gute. Alles was uns daran hindert zueinander gut zu sein, müssen wir bei uns selbst zu heilen anstatt es bei den anderen zu bekämpfen. Wenn wir aufhören, unser Leid zu projizieren hört automatisch der Kampf auf und hält der Frieden Einzug.
Vielleicht ist es ja gerade das, was diese Zeit von uns verlangt, wozu sie uns drängt, damit wir letztendlich alle gemeinsam unseren Weg auf eine höhere, menschlichere Stufe finden und vielleicht würden wir die dafür notwendigen Veränderungen in uns selbst und in unserem persönlichen Verhalten ohne den entsprechenden Druck niemals durchführen.
Lass mich wissen wie du darüber denkst, zu welchen Erkenntnissen du gekommen bist, welche Erfahrungen du gemacht hast.
Christian